Patagonien im Winter erleben

Prolog

Heute einmal etwas ganz anderes aus der Rubrik „Weltweite Bergfahrten“ von Gastautor Bendix Holtgraefe. Gute Unterhaltung beim Schmökern eines Abenteuers der ganz besonderen Art. 

Wie alles begann…

Das Ausüben seiner Hobbys gehört zu den schönsten Dingen im Leben. Genau dieses Gefühl verspüren Skibergsteiger natürlich ebenfalls. Der Unterschied zu den meisten anderen Hobbys ist allerdings, dass Skitouring sehr stark von den geografischen Features abhängig ist. Wenn man zurzeit in Dänemark studiert, dann steht man vor mehreren Herausforderungen, die man lösen muss:

  1. Mit einer Durchschnittserhebung von 30 Metern ü.n.N. wird das mit den Bergen nichts
  2. Die einzigen richtigen Semesterferien sind im Sommer
  3. Selbst im Winter fällt normalerweise kein Schnee

Nach ein wenig Bedenkzeit hatte ich zusammen mit einem Kumpel eine geniale Idee, die all drei Probleme gleichzeitig löst. Skibergsteigen auf der Südhalbkugel – und zwar auf den Vulkanen in Patagonien. Die dänischen Ferien liegen genau in der Mitte des südamerikanischen Winters, Südamerika ist die Landmasse am nächsten zur Antarktis und mit Vulkanen und Gletschern von über 4.000 Metern Höhe sollte das mit der Schneesicherheit auch passen.

Die Vorbereitung für diese Reise war relativ simpel. Alles, was wir brauchten, war ein Auto in welchem wir schlafen konnten und genügend Platz für unser Equipment hatten. Nach kurzem Googeln haben wir einen SUV von Wicked South America gefunden, welcher mit einem ausfaltbaren Zelt auf dem Dach das perfekte mobile Zuhause für uns bot. Da wir beide Ski-Freaks sind, hatten wir den Großteil der weiteren Ausrüstung schon und waren nach ein paar kleineren Besorgungen bereit für die Abreise.

Anfang Juli ging es endlich los und nach einer kurzen Einführung an unser neues Auto, machten wir uns gleich auf den Weg Richtung Vulkane. Für die kommenden fünf Wochen hatten wir viel vor. Zwischen Santiago und Ushuaia (südlichste Stadt der Welt) haben wir 10 Vulkane, Berge und Gletscher herausgesucht, welche wir im Verlauf der Reise besteigen und anschließend auf Ski abfahren wollten.

Skitouring & Eisklettern

Die Haupttechnik um im Winter Berge zu besteigen, ist das Skibergsteigen, bei welchem man ein Steigfell auf der Belagseite der Ski anbringt. Durch den Winkel der Haare gleitet man geschmeidig vorwärts, aber beim Nachziehen des anderen Beins verkanten sich die Haare im Schnee und bieten somit Halt. Diese Technik macht die Fortbewegung im Schnee deutlich schneller und bequemer. Sobald es allerdings eisig oder steiler wird, wechselten wir auf Steigeisen und Eisgeräte. Die Steigeisen konnten wir bequem an unseren Skischuhe montieren, sodass jeder von uns nur ein Paar Bergstiefel brauchte.

Außerdem haben wir uns den Weg bergauf leichter gemacht, indem wir mit unserem Allradfahrzeug soweit wie möglich hochgefahren sind. Da wir ca. 15 Minuten und viel Kraft für 100 Höhenmeter benötigten, wenn wir zu Fuß mit dem gesamten Ski- und Kletter-Equipment aufgestiegen sind, hat sich hier jeder eingesparte Meter gelohnt.

Nach jeder Tour haben wir mindestens einen Tag zum Ausruhen eingelegt, da mehrere Tausend Höhenmeter in Skitouren-Stiefeln mit 10 kg Ausrüstung bei -15 Grad ziemlich strapazierend sind. Ein Umstand, der das alles nicht wirklich leichter gemacht hat, war das „Zelten“ auf unserem Autodach. Nach der ersten Nacht haben wir uns gleich extra lange Bettdecken zugelegt, da Körper und Kopf im Laufe der Nacht deutlich auskühlen. Außerdem konnte man im Zelt weder essen noch kochen, da man es ohne Staubsauger kaum reinigen konnte.

Auf der anderen Seite des fehlenden Komforts hat man aber eine unbegreifliche Freiheit: Man kann das Auto überall abstellen und einigermaßen gut schlafen. Es ist möglich, am Abend auf einen Berg zu fahren und direkt mit den ersten Sonnenstrahlen eine Tour zu beginnen.

Vulkane

Nun ein bisschen mehr zu den Touren an sich. Diese hatten ihre Highlights und Reinfälle – wie es nun mal auf jeder Reise so ist. Manchmal wird man von Sonnenschein und spektakulären Aussichten überrascht – ein andermal ruiniert ein Schneesturm (oder auch nur eine einzige große Wolke am Gipfel) die Aussicht. Insgesamt waren wir in drei verschiedene Regionen unterwegs:

Einerseits die Nachbarn des Aconcagua in der Nähe von Santiago, dann die einzel-stehenden Vulkane des „Lake Districts“ im nördlichen Teil Patagoniens und natürlich das Feuerland – Tierra Del Fuego – der südlichste Zipfel des Kontinents.

Osorno

Eines der Highlights war der Aufstieg auf den Vulkan Osorno. Mit absolut perfekten Bedingungen und ununterbrochenem Sonnenschein haben wir uns am späten Morgen auf den Weg gemacht.  Aufgrund fehlenden Schnees, war das kleine Skigebiet am Fuß des Berges nicht in Betrieb, und wir mussten mit unseren Ski am Rücken starten. Nach den ersten paar hundert Höhenmetern hat sich die Schneelage aber schnell erholt und wir konnten die Tourenski anschnallen, was das Vorankommen deutlich vereinfachte.

Der etwas flachere Anstieg zu Beginn hat uns Kräfte sparen lassen, welche für die letzten 400 Höhenmeter auf sehr steilem und eisigem Terrain sehr hilfreich waren. Auch wenn wir auf dem Weg bergab keinen fluffigen Tiefschnee hatten, sondern eine schroffe Eisschicht, konnte man durch die riesige freie Fläche die Ski auch mal laufen lassen.

Villarica

Da der Vulkan Villarica als einer der aktivsten Vulkane der Welt gilt, haben wir hier extra viel Zeit in die Vorbereitung investiert, und haben alle Tourismusbüros der gleichnamigen Stadt abgeklappert, um alle Gefahren zu kennen. Wir haben uns mit Staubmasken ausgestattet und die am wenigsten gefährliche Route auf Karten studiert, ehe wir uns an den Fuß des Vulkans wagten. Da die komplette Region ein Tourismus-Hotspot ist, gab es rege Aktivität auf dem Vulkan. Wir haben mehrere geführte Klettergruppen und andere Skibergsteiger getroffen, welche an diesem perfekten Tag dasselbe vorhatten wie wir.

Vom technischen Level her ist der Aufstieg auf den Villarica sehr fordernd: Steile, vereiste Hänge, auf die ein unablässiger Wind peitscht, sind nichts für schwache Beine. Ohne perfekt justierte Eiskletterausrüstung sollte man sich im Winter auf keinen Fall an die letzten 300 Höhenmeter wagen und wenn man mit Tourenski unterwegs ist, sollte man nicht zulange mit dem Wechsel auf Steigeisen warten, da man diese sonst mitten in einer vereisten Steilwand anlegen muss. Wenn man all diese Herausforderungen erfolgreich gemeistert hat, wartet ein dampfender Vulkankrater mit einem unvergesslichen Ausblick auf die vielfältige chilenische Seenlandschaft mit all den atemberaubenden Vulkanen des Umlandes.

Nevados de Chillan

Nicht jede Tour verlief so reibungslos, wie die auf den Osorno. Etwa 450 km nördlich, am anderen Ende des Lake Districts gelegen, erhebt sich der Nevados De Chillan mit einer Höhe von 3.200 Metern. Als einer der ausbruchgefährdetsten Vulkane in Südamerika war uns von vornherein bewusst, dass viel schiefgehen kann. Nachdem wir uns mit Tourenski über die ersten 1.000 Höhenmeter gearbeitet hatten wurden wir an der letzten Station der Bergwächter angehalten und gezwungen umzudrehen, da der komplette Vulkan aufgrund von Ascheeruptionen evakuiert wurde.

 

Diese sind keine Seltenheit, denn laut volcanodiscovery.com, dem Portal welches ich jedem ans Herz lege, der in diese Region reisen möchte, gibt es fast wöchentliche Ascheeruptionen, welche ernsthafte Folgen haben können. Neben den Quellen aus dem Internet, welche Live-Updates bezüglich der Bedingungen auf den verschiedenen Vulkanen liefern, ist es sehr wichtig, sich vor jedem Aufstieg im lokalen Tourismusbüro über alle Gefahren zu informieren. Eine sehr große Hilfe war dies auch bei dem Aufstieg auf den Vulkan Villarica.

Zum Abschluss…

Ich könnte noch ewig über weitere Abenteuer von dem, für mich schönsten Teil dieser Erde weiterschreiben, am besten ist es aber, diese Vulkane selber zu entdecken. Viel Spaß beim Nachreisen und nur schonmal als Vorwarnung:

Kosten für das Auto, Sprit, Flugtickets und Verpflegung summieren sich für eine einmonatige Reise gerne mal auf ca. 5.000 Euro. Es sollte vorher also definitiv gespart werden 😉

Über den Autor

Bendix Holtgraefe ist leidenschaftlicher Skifahrer und Bergsteiger. Seine Lieblingsdisziplin ist das Skitouring, bei der man beide diese Dinge kombinieren kann. Wenn er nicht gerade in den Bergen unterwegs ist, findet man ihn in seiner Uni in Dänemark, wo er gerade seinen Bauingenieurs Bachelor schreibt oder im Büro bei Trendhim.

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