Angelesen: Hochtouren-Literatur vom Topo.Verlag

Prolog

Wer die höheren Gipfel der Alpen erklimmen möchte, kennt wahrscheinlich die Führerliteratur von Daniel Silbernagel – und ist mit ebenso hoher Wahrscheinlichkeit dankbar für seine hervorragende Arbeit. Wir haben die top-aktuellen Guidebooks zu Berner Alpen, Walliser Alpen sowie Urner/Glarner/Tessiner Alpen für euch auf den Prüfstand gestellt.

Allgemeine Infos

Autor: Daniel Silbernagel u.a.
Verlag: Topo.Verlag
Kategorie: Alpinliteratur, Führer
WWW Link:  topoverlag.com
Sponsored Post Ja
   

Transparency

Danke an dieser Stelle für die wertschätzende Zusammenarbeit mit dem Topo.Verlag, der uns die Produkte kostenlos zur Verfügung gestellt hat. Da wir in der glücklichen Lage sind, von solchen Kooperationen finanziell nicht abhängig zu sein, können wir neutral testen und berichten.

Review

Was macht den Topo.Verlag besonders?

Die Hochtouren-Führer vom Topo.Verlag haben sich über die Jahre zur De-Facto-Standard Literatur für Hochtouren in der Schweiz entwickelt. Und das aus gutem Grund: Die Auswahlführer beschreiben unterschiedliche Fels- und Eistouren auf die bekanntesten Drei- und Viertausender der jeweiligen Gebiete. Schwerpunkt sind die bekannteren und mittelmäßig bekannten Aufstiege, die sich meist im mittleren bis höheren Schwierigkeitsgrad bewegen. Hardcorerouten (über S+/SS) findet man kaum in den Büchern, dafür Touren die in Vergessenheit geraten sind und mit den Büchern quasi aus dem Dornröschenschlaf geweckt wurden. Information am Rande: es wurden nur jene Routen als Hauptrouten aufgenommen, die das Autorenteam selbst geklettert ist.

Dass es sich um einen Auswahlführer handelt, sieht man u.a. an diesem Beispiel: Im Walliser Führer ist natürlich der Matterhorn Gipfel genannt, wobei Hörnligrat sowie Liongrat beschrieben werden. Die alternativen (schwierigeren) Anstiege via Zmuttgrat oder Furggengrat sind nicht enthalten. Hierfür bräuchte es dann andere Informationsquellen. Trotzdem finden sich für durchschnittliche AlpinistInnen mehr als genügend eindrückliche Routen für viele Jahre Bergsteigerfreude…

Aufbau & Routenbeschreibungen

Beim ersten Durchblättern fällt bei den drei getesteten Führern rasch folgendes auf:

  • Dicke, dafür kompakt-formatige Bücher
  • Anfangs: Einleitung, Infos zu: Ausrüstung, Zeitangaben, Bewertungsskalen, Talorten, Hütten/Biwaks (inkl. Details wie Kocher/Gas ja/nein)
  • Mittelteil: Routen nach Gebieten/Gipfeln
  • Abschluss: Verzeichnis nach Routen, Alternativrouten, alphabetisch, Ernsthaftigkeit
  • Umschlag: Gebietsübersicht, Übersichtskarte
  • Teilweise Mehrsprachigkeit (DE, EN, FR)
  • Detaillierte Routeninfos mit Factbox der Eckdaten (Ausgangspunkt, Höhenmeter, Zeiten, Ausrüstungsinfos, Varianten), Kurzbeschreibung, Übersichtsfotos aus unterschiedlichen Perspektiven (teilweise mit eingezeichneten Routenverläufen), hochwertigen Kartenausschnitte, detailgenaue Topo-Skizzen. Die hervorragenden Topo-Grafiken sind sicherlich auch das Markenzeichen bzw. Alleinstellungsmerkmal der Silbernagel-Führer.

Generell handelt es sich bei den Büchern um Nachschlagewerk und natürlich auch um eine Inspirationsquelle. Hier unterstützen insbesondere die Fotos sowie Kartenausschnitte mit jeder Menge eingezeichneter Alternativrouten. Im Gegensatz zu klassischen Foto-Bildbänden stehen jedoch die praktischen/technischen Routeninformationen im Vordergrund. Ohne unnötigen Text beschreibt der Autor die Touren kurz und knackig. We like!

Stichwort Kartenausschnitte: Hier gefällt uns besonders gut, dass neben der beschriebenen Route auch andere An-/Abstiege als Alternativen/Ergänzungen eingezeichnet sind. Schlüsselstellen/-länge sind teilweise hervorgehoben und mit kompakten Textinfos (z.B. „bei Blankeis schwierig“) versehen. Super ist, dass hochwertiges Swiss-Topo-Kartenmaterial abgebildet wird. Die Ausschnitte fokussieren dabei primär auf die gipfelnahen Regionen. Für die Übersicht und zur Planung empfehlen sich großformatige Papierkarten oder am besten die stets aktuellen Online-Karten von SAC/SwissTOPO.

Zur Angabe der Schwierigkeiten: Diese werden in den etablierten Bewertungs-Schemen für Hochtouren (L-AS), Fels (3a, 4c, etc.) sowie Firn-/Eis (45°) angegeben. Zusätzlich wird die fünfstufige Ernsthaftigkeits-Skala (E1-E5) genutzt – auf die in vielen anderen Nachschlagewerken leider verzichtet wird.

Bevor wir die einzelnen Führer im Detail beleuchten noch ein allgemeingültiger Hinweis:

Die Bücher sind zwar kompakt was das Format betrifft, bringen allerdings einiges an Gewicht auf die Waage. Idealerweise kopiert man sich die wichtigsten Seiten für eine Unternehmung im Vorhinein heraus und fotografiert diese zusätzlich mit dem Smartphone. Dann kann der schwere Wälzer im Auto bleiben und man hat die relevanten Informationen stets zur Hand.

BERNER ALPEN, 4. Auflage (2020)

Sicherlich eines der Herzstücke der Silbernagel-Führer! Auf 404 Seiten werden in der überarbeiteten Ausgabe 80 Touren zwischen Les Diablerets und Grimsel beschrieben. Das Gipfelverzeichnis gleicht dem Who-is-Who und wartet mit Berge wie Jungfrau, Mönch, Eiger oder Finsteraarhorn auf. Daneben finden sich auch weniger begangene Wege wie der Studerhorn-Südgrat oder die Überschreitung des Hienderstocks.

Wer die Berner Alpen bis dato noch nicht live erlebt hat, dem sei gesagt, dass es dort für jeden Geschmack etwas gibt: Einsame Aufstiege durch langgezogene Täler, weite Gletscherflächen wie beispielsweise auf dem Konkordiaplatz und komfortable Anreisemöglichkeiten wie z.B. mittels der berühmten Jungfrau-Bahn. Das Gebiet ist von allen Seiten hervorragend erschlossen und bietet genügend Stützpunkte von einfachen Biwakunterkünften bis hin zu erstklassigen Berghütten.

Bei den Routen ist uns positiv aufgefallen, dass auch speziellere Anstiege zu finden sind. Beispiel Mittelegigrat, wo meistens nur der Teil von der Mittellegihütte zum Eiger-Gipfel beschrieben wird. Nicht so in diesem Führer, wo zusätzlich der eindrucksvolle Weg zwischen Ostegghütte und Mittellegihütte „Mittellegigrat Integrale“ dargestellt wird. Aber nicht nur das: es findet sich außerdem eine Klettertour als alternativer Zustieg zur Ostegghütte und als Eiger-Abstiegsvariante, die Westflanke. Inkl. Detail-Skizzen von Schlüsselstellen. Absolut vorbildlich!

Ebenfalls ein erfreuliches Beispiel. Auf die Jungfrau wird der Rotbrättgrat (NW-Grat) beschrieben und zusätzlich die Überschreitung Innerer Rottalgrat-Abstieg Jungfraujoch. Andere Führer beschränken sich hier zum Teil auf den Normal, der hier quasi als Abstiegsroute „mitgenommen“ wird. We like!

Apropos: Viele Bilder sind aktuell (2018) und wurden somit nicht einfach von früheren Ausgaben übernommen. Die Aktualität des Führers zeigt sich auch in Fällen, wie dem zerstörten Mittelaletschbiwak, über dessen Status ebenfalls akkurat informiert wird.

Nachdem wir aus dem letzten Jahr die Blüemlisalp-Überschreitung noch gut in Erinnerung haben, haben wir uns diese Route näher angesehen. Diese Paradetour wird gut beschrieben, findet sich allerdings unter etwas anderem Namen. Hier wäre es evtl. gut, im Routenverzeichnis diesen Begriff ebenfalls anzuführen. In den meisten anderen Fällen (z.B. Überschreitung Pfaffestecki) gelingt das eindeutiger. Allerdings ist das „Sudern auf höchstem Niveau“ und wer des sinnerfassenden Lesens mächtig ist, wird solche Kleinigkeiten definitiv verzeihen ;-).

WALLISER ALPEN, 4. Auflage (2020)

Von Aiguille d’Argentiere über Matterhorn bis Zinalrothorn finden sich hier unzählige Bergsteigerträume wider. Neben den Paradegipfeln werden auch weniger überlaufene Berge wie La Singla oder Gross Bigerhorn gezeigt. Auf exakt 400 Seiten beleuchtet Daniel Silbernagel in diesem Literatur-Klassiker insgesamt 90 Touren zwischen Mont Dolent und Fletschhorn.

Die Walliser Alpen bieten ähnlich den Berner Alpen für jeden Geschmack das richtige Ziel. Die Erschließung der einzelnen Gebiete ist mittels Seilbahnen und Hütten in vielen Fällen perfekt – beispielsweise rund um Saas-Fee und Zermatt. Andererseits existieren auch deutlich weniger frequentierte Flecken mit einsameren Zustiegen, wie z.B. rund um Orsieres/Bagnes, Dent Blanche, o.ä.

In diesem Führer stechen auf Anhieb die zahlreichen Überschreitungen ins Auge. Das macht die Touren noch spannender. Interessant wäre hier noch, zusätzlich darüber zu informieren, inwiefern sich die Anforderungen ändern, wenn die Begehungsrichtung umgedreht wird (z.B. von Ost-West auf West-Ost, siehe Breithorn-Traverse) bzw. weshalb die beschriebene Begehungsrichtung gewählt wurde.  

Als besonderes Beispiel haben wir uns die Gegend rund um die Dufourspitze herausgepickt. In den meisten Beschreibungen findet sich der Aufstieg via Westgrat und Abstieg über den Normalweg. Oder alles via Normalweg. Dann noch als Option das Nordend und wenn es eine wirklich gute Literatur ist, dann noch der Übergang von der Zumsteinspitze. Damit begnügt sich der Walliser Führer allerding nicht sondern beschreibt zusätzlich noch die Varianten via Grenzgletscher, Cresta Rey, Nordend Morshead Sporn, u.a.). Damit ergeben sich zahleiche neue Kombinationsmöglichkeiten, auf denen man deutlich mehr Ruhe hat. Der Kartenausschnitt mit sämtlichen genannten Routen, Übersichtsfotos sowie die jeweiligen Topos sind auch hier von höchster Güte und erleichtern die Planung ungemein.

URNER, GLARNER, TESSINER ALPEN, 2. Auflage (2018)

Zwei Guidebooks sind nun bereits beschrieben – was bleibt dann noch für Nummer drei?

Die wichtigste Auffälligkeit, ist dass die Berge, die in diesem Band beschrieben werden, weniger bekannt sind, in der Regel niedriger, leichter zu erreichen und vor allem: der Felsanteil ist deutlich höher, der Hochtourenteil geringer. Ein Vorteil ist dadurch, dass die Touren in der Regel weniger frequentiert sind – was ja auch kein Nachteil ist. Zusätzlich ist man etwas weniger abhängig von den Bedingungen (Spalten, Blankeis, etc.), was auch die Materiallast (Gletscherausrüstung) reduziert.

Aber der Reihe nach: Die Autoren präsentieren 65 Routen im genannten Gebiet, einschließlich Binntal, Simplon und Gotthard. Neben den Klassikern werden auch zahlreiche weniger bekannte Anstiege beschrieben. Der Fokus liegt auf leichten und mittelschweren Touren, die auch für OttonormalbergsteigerInnen möglich sind. Das macht die Auswahl durchaus mainstream-fähig – zumindest verglichen mit klassischen Hochtourengebieten.

Die schwierigste Tour – das Gwächtenhorn ist zugleich wieder ein schönes Beispiel für die Qualität des Führers. Neben dem knackigen SSW-Grat werden zusätzlich 3 weitere Anstiege angeführt. Schade, dass es dazu keine detaillierteren Informationen gibt – andererseits wäre der Buch dann wohl doppelt so dick. Und dafür gibt es die SAC Gebietsführer…. Jedenfalls ergeben sich damit zahlreiche Alternativen.

Von der geografischen Ausdehnung her ist das beschriebene Gebiet riesig und deutlich weitläufiger. Damit ist man bei der Routenwahl deutlich flexibler als in den Berner oder Walliser Alpen. Und wärmer/sonniger ist es in der Regel auch 😉

Fazit

„Von uns bekommen die aktuellen Silbernagel-Führer astreine 5 Sterne!“

Viel gibt es nicht mehr zu sagen. Von uns bekommen die aktuellen Silbernagel-Führer astreine 5 Sterne! Inhaltlich gibt es wenig Verbesserungsmöglichkeiten. Natürlich würden in zukünftigen Auflagen weitere Routen nicht stören. Hilfreich wären außerdem alternative (Hütten-)Zustiegsmöglichkeiten via Fahrrad – sofern möglich. Preislich im höheren Segment, aber jeden Cent (und noch viel mehr) wert – insbesondere in Anbetracht der Arbeitszeit, die in die Erstellung geflossen sein muss! 

Last-but-not-least: Wir freuen uns schon drauf, das vierte Werk im Bunde – die „Bündner Alpen“ zu schmökern, sobald es hier eine Neuauflage gibt!