Lange schon steht er auf meiner ToDo-Liste, aber bis zum letzten Wochenende sollte es einfach nicht sein: Der Grat der Grate – die unter Bergsteigern bekannteste Himmelsleiter: Der Biancograt! Wie der Zufall so spielt lernte ich wenige Wochen zuvor Sabine am Weg zur Weißkugel kennen. Damals durfte ich mich dankenswerterweise am Gletscher an das Seil Ihrer Seilschaft hängen. Beim späteren Abstieg stellte sich heraus, das wir beide für 2014 den Biancograt geplant hatten – und beide dieses Ziel aus unterschiedlichen Gründen nicht wahrnehmen konnten. Aufgrund des makellosen Wetterberichts und nachdem wir beide die Hochtourensaison für dieses Jahr noch nicht abgeschrieben hatten wurden wir uns schnell einig. 

Freitag – Tschiervahütte

Freitagnachmittag geht’s mit dem Auto nach Pontresina, wo wir am Langzeitparkplatz eines von wenigen Autos waren. In nicht einmal 2.5 Stunden stiegen wir ruckzuck zur Hütte hoch. Vor Augen stets die imposante Gletscherwelt am Talschluss des Val Roseg. Gegen 20 Uhr erreichten wir die Tschiervahütte, wo wir uns Suppe bzw. Bier genehmigten (Schweizer Bier… naja…;-). Das „Piz Bianco“ Lager teilten wir uns mit einigen Gleichgesinnten, die für den nächsten Tag denselben Plan verfolgen würden.

Samstag – Biancograt

Um 3 Uhr morgens läuten die Wecker, um halb 4 wird gefrühstück und kurz nach 4 verlassen wir die Hütte. Vor uns befinden sich bereits einige Seilschaften – nach uns folgen auch noch einige. Wir haben Glück und können dem flotten Schritt zweier Jungs (die den anspruchsvollen Weg im Dunkeln gut finden) gut folgen. Unterhalb der Fuorcla Prievlusa legen wir die Steigeisen an und stapfen durch den festen Firn hoch. Unterhalb der Fuarcla befindet sich ein markanter Bergschrund. Dieser kann entweder mittig überschritten werden (danach geht’s in direkter Linie steinschlaggefährdet in die Scharte), oder man hält sich links und quert in die Felsen. Wir folgen dieser sicheren, dafür etwas längeren Route, die gut mit Trittklammern entschärft ist. Wenn viel Betrieb ist würde ich jedenfalls wieder diesen Weg wählen da das Firnfeld direkt unter dem felsigen Teil des Biancograt hinauf zieht…

In der Scharte packen wir das Seil aus und machen uns an die ersten Seillängen. Wir gehen am laufenden Seil – im unteren Teil sichern wir von Stand zu Stand. Bohrhaken sind zur Genüge vorhanden und der angegebene 3er kommt den realen Kletterschwierigkeiten recht nahe. Spannend und fordernd zieht die Kletterlinie nach oben bis der Felsgrat zu Ende ist. Den 1. Felszacken umgehen wir nicht sondern überklettern diesen komplett. Kostet zwar etwas Zeit, ist aber durchaus lohnend. den zweiten, kleineren Zacken umgehen wir linkerhand wie alle anderen Bergsteiger. Danach startet der 750 hm lange Firngrat, der von unten kürzer wirkt als er tatsächlich ist. Die Bedingungen sind perfekt, der Trittfirn optimal, keine Blankeisstellen und die Steilheit sowie Ausgesetztheit ist geringer als erwartet. Alles in allem eine wirklich einmalige „Himmelseiter“, die diesen Namen zu Recht verdient. Auf den letzten 200 hm zum Piz Bianco machen sich Anstrengung und Höhe bemerkbar, aber irgendwann stehen wir dann auf dem unscheinbaren Gipfel.

Wir legen eine wohl-verdiente Pause ein und bestaunen die wenigen Seilschaften am Übergang zum Piz Bernina. Dieser scheint zum Greifen nahe – „nur“ durch einen kurzen Felsgrat von unserem jetzigen Standort getrennt. Wie sich später herausstellt haben es diese vielleicht 300m Luftlinie aber gewaltig in sich. Neben kniffligen Einzelstellen muss auch 2x abgeseilt werden. Auch ist eine ziemlich steile Firn-/Eisrampe ca. 1 Seillänge zu durchsteigen, wo kaum eine brauchbare Zwischensicherung zu legen ist. Bei Blankeis möchte ich dort nicht unbedingt hoch müssen… Glücklich erreichen wir den Piz Bernina und lassen uns vom unbeschreiblichen Panorama gerne überwältigen. Ein absoluter Traum heute und wir sind total happy, dass wir unser Ziel realisieren konnten!

Der Abstieg gestaltet sich leichter als gedacht über den Spallagrat. Anfangs felsiges max. Ier Gelände gefolgt von einem einfachen Firngrat erreichen wir die Abseil-„Piste“. Die angegebenen 4x abseilen können wir durch abklettern auf 2x reduzieren. Der Weiterweg zum Rif. Marco E Rosa ist dank des Schnees in kürzester Zeit zurück gelegt und so erreichen wir am frühen Nachmittag die Hütte. Leider hat diese bereits seit 2 Wochen geschlossen und wir quartieren uns im Nebengebäude (Winterraum) ein. Dieser bietet ca. 25 Personen Platz und überzeugt mehr mit grandioser Aussicht denn mit Komfort (kein Ofen, kein WC, kein Garnichts). Nach und nach trudeln unzählige Seilschaften bis in die späten Stunden ein und so wird die Hütte am Ende massiv überbelegt. Sogar in dem kleinen Dachstuhl müssen einige Bergsteiger übernachten, aber irgendwie haben doch alle Platz… :-)

Sonntag – Piz Palü Überschreitung, Piz d’Arlas & Piz Cambrena

Wieder versüßt uns ein Wolkenloser Himmel den Start in den Tag. Langsam machen sich die Seilschaften auf den Weg und so verlassen auch wir gegen 7 Uhr die Hütte. Wir queren die Bellavistaterrassen (eingeschneite Spalten) und erreichen rasch den Beginn des Palü Westgrats. Diesen erklimmen wir (fast) problemlos, wobei besser ohne Steigeisen geklettert wird. Nach dem Felsgrat folgen wir dem Schneefeld zum Westgrat, wo wir eine kurze Pause einlegen. Wir passieren den Mittelgipfel und balancieren über den schneidigen Verbindungsgrat hinüber zum Ostgipfel, von wo aus wir gut unseren Weiterweg einsehen können. Nochmals steigen wir über einen ausgesetzten Schneegrat abwärts, bis wir den Gipfelhang des Palü Ostgipfel erreichen. Auch dieser bietet optimale Verhältnisse und wir können locker hinunter in die Scharte „rutschen“.

Im Gegensatz zu den anderen Seilschaften steigen wir nun nicht über den Normalweg ab sondern folgen dem Firn weg vom Palü hin zum Ostgrat. Als erstes erwartet uns ein steiler Abstieg im Firn (ca. 45 Grad), den wir erfolgreich meistern können. Darauf folgt eine unangenehme, glatte 2m Felsplatte, an der wir nochmals ins Grübeln kommen, ob der Weiterweg wirklich schlau ist. Wir geben uns einen Ruck und wagen in Anbetracht des bisherigen Fortschritts den Weiterweg. Der Ostgrat steht zu unrecht im Schatten des Piz Palü und bietet tolle Kletterei – sowohl im Auf- wie auch im Abstieg. Wir erreichen die Fuorcla Palü, queren ein Schneefeld, legen wieder die Steigeisen an und queren dieses diagonal ansteigend bis wir wieder felsiges Gelände erreichen. Diesem folgen wir ca. 100m und erreichen den Firnanstieg auf den Vorgipfel des Piz Cambrena. Hier treffen wir zum ersten Mal auf diverse frische Fußspuren, denen wir auf den Hauptgipfel folgen, wo wir rasten. Das Panorama ist wieder einmal grandios – von dieser Seite sehen wohl die wenigsten Bergsteiger die Piz Palü Gipfel.

Auch wenn es schwer fällt, die Blicke von der beeindruckenden Kulisse zu lösen machen wir uns an den Abstieg. Erst geht’s über eine Firnflanke hinunter in eine markante Scharte, wo wir die Steigeisen sowie sämtliche wärmende Kleidung ablegen und gegen kurze Hosen und Tank Tops tauschen. Wir klettern 50 hm zum Piz d’Arlas hoch, wo der herausfordernde Abstieg beginnt. Dieser sollte nicht unterschätzt werden und wartet mit 2 langen Abseilstellen sowie einigen heiklen Traversen auf. Aber auch diese meistern wir und gelangen in die brüchige und sehr unangenehme Ausstiegsflanke. Als wir auch diese meisten haben wir die Schwierigkeiten der Tour hinter uns gebracht und machen uns via Diavolezza an den langen Abstiegshatscher zur Talstation. Glücklicherweise hält bei der Straße gleich das 3. Auto und bringt uns zu unserem Ausgangspunkt in Pontresina, von wo aus wir glücklich und zufrieden die Heimreise antreten.

Fazit

Ein grandioses Bergwochenende, wie es besser nicht hätte sein können. Optimale & humorvolle Seilschaft, effizientes Klettern,  atemberaubende Aus- und Tiefblicke, mentaler, konditioneller & technischer Anspruch, abwechslungsreiche Touren, die so ziemlich alles beinhalten was einen Bergsteiger hochalpin erwarten kann. Danke Bernina, du warst unbeschreiblich gut zu uns und wir kommen gerne wieder!!!

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HIKR: www.hikr.org/tour/post86384.html